Stefan von Gagern
Stefan von Gagern
Kolumnist & B2B Tech Copywriter

Werben ohne zu werben: Wo hört Content auf und wo fängt Werbung an?

Lesezeit Icon 8 min
Marketing
Titelbild: Werben ohne zu werben

Entdecke den Business Value deines Contents.

„Sicherlich einer der inhaltlich wertvollsten Newsletter, die ich bisher erhalten habe.“

Andreas Hoffmann
Head of Marketing @ OmniCult

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Die Grenze zwischen Content und Werbung ist im Content-Marketing oft eine schwierige Gratwanderung. Wo hört „Inhalt“ auf und wo fängt Werbung an? Wie schaffe ich es als Content-Schaffende:r meine Inhalte nutzwertig und werbefrei für die Zielgruppe zu halten? Ist Werbung tabu?

Neulich hat jemand auf LinkedIn über die – aus seiner Sicht fragwürdige – Zukunft von Messen sinniert. Er meinte, er trifft dort nur Aussteller, die unzufrieden sind mit dem Ergebnis der Messe – und gleichzeitig über die hohen Kosten für einen Messestand klagen. Was ihn als Besucher aber vor allem nerve, wäre die Tendenz zum Vertrieb. Es wäre deutlich spürbar, dass Vorträge Werbeveranstaltungen sind und kein Infotainment. Sein Resümee war eine Frage: Die Frage, ob die klassische Messe so überhaupt noch lange existieren würde.

Wann fühlt sich Marketing wie Werbung an?

Grundsätzlich ist auch Content-Marketing natürlich eine Form des Marketings – unter anderem mit dem Ziel zu verkaufen (wir erinnern uns an die 4 P des Marketings). Deswegen ist prinzipiell auch nichts dagegen einzuwenden im Content-Marketing zu werben, aber: Das Problem liegt heute an der ständigen Reizüberflutung. Wir sind permanenten Werbebotschaften auf allen Kanälen ausgesetzt. Und viele Konsument:innen haben heutzutage nicht nur einen Werbeblocker im Browser installiert, viele haben einen kognitiven Abwehrmechanismus entwickelt, der unmittelbar aktiviert wird, sobald Werbung als solche erkannt wird. Dann geht das im digitalen Zeitalter wertvollste Gut verloren: die Aufmerksamkeit.

Da heute fast kein Inhalt mehr exklusiv ist und es zu so gut wie jedem erdenklichen Thema Alternativen gibt, gilt es als Content-Marketer, Konsument:innen vom Abschalten abzuhalten. Das gelingt nur mit nicht werblichem Content. Nur so entsteht eine Win-win-Situation: Konsument:innen bleiben freiwillig bei der Stange und belohnen die Marke mit ihrer Aufmerksamkeit. Nur wer diesen „Pakt“ nicht verletzt, punktet mit Content. Im Idealfall so, dass der Inhalt angenehm, etwa als guter Service empfunden wird. Die Werbebotschaft funktioniert, aber eher subtil – sodass die Zielgruppe die Marke praktisch oben auf ihrer Liste für den nächsten Kauf stehen hat.

Es gilt also, mit Bedacht vorzugehen: Blogartikel, die zu sehr den Sponsor loben, werden schnell durchschaut. Whitepaper, die zu schnell den Bogen von nutzwertigen Inhalten auf „jetzt kaufen“ und „hier ist die Lösung der Herausforderung“ schlagen, werden schnell von Leser:innen entlarvt. Webinare, die gleich vom allgemeinen Lehrinhalt zur Produktdemo wechseln, verärgern und vertrieben die Zuschauer:innen.

Webinar als Sales Pitch (Meme)

Hier steht das Versprechen: „Wir schenken dir unser Wissen“ der Realität „Wir wollen dir etwas verkaufen“ gegenüber. Natürlich will und muss jedes Whitepaper, jedes Webinar und sogar jeder Blogartikel auf lange Sicht beim Vertrieb unterstützen – aber es ist eine gewisse Zurückhaltung gefragt, eine Balance, die man als Content-Verantwortliche:r nicht überschreiten sollte. Tun wir es doch, verpufft schnell die Wirkung des Contents und die Aufmerksamkeit ist weg.

Gleichzeitig herrscht aber oft Druck in der Content-Produktion: Marketing und Content-Verantwortliche müssen die Wirkung ihrer Artikel, Webinare und Whitepaper nachweisen – und zwar idealerweise auf dem schnellsten, direkten Weg. Da gehen der gute Wille und nachhaltige Content-Prinzipien schnell über Bord und es entsteht Content, der sich wie Werbung anfühlt.

Das Problem: Niemand mag Werbung, die sich wie Werbung anfühlt.

Im digitalen Zeitalter ist ein Umdenken gefragt. Das alte Modell der Werbung funktioniert nicht mehr. Doch ist dies schon in den Köpfen der Marketing-Entscheider angekommen?

„Aktuell stecken viele noch im Marketing der 80er fest, sprich: Eine Werbebotschaft reicht für alle Kanäle. Tatsächlich sind die Inhalte aber bald durch das Ende der Third Party Cookies nicht mehr so einfach ausspielbar“, so der Digitalberater Michael Müller, der in einem Webinar beim ECC Köln vom „Zeitalter des Content-Marketings“ sprach.

Laut Müller muss Content Folgendes leisten:

  • Themen vermitteln, die die Zielgruppe wirklich interessiert.
  • Content ist das zentrale Element in der Kommunikation.
  • Die Lücke zwischen dem schließen, was Unternehmen produzieren und dem, wonach das Publikum sucht.
Tatsächlich ist jedoch auf vielen Websites und in der Unternehmenskommunikation noch immer Folgendes zu beobachten:
  • Inhalte, die sich wie Werbeanzeigen anfühlen und lesen.
  • Störende Werbung, wie Seitenfüllende Pop-Ups, die bei der Nutzung der Inhalte behindern.
  • Ideenlosigkeit bei den Inhalten und Präsentation (z. B. Datenblätter mit Produkt-Features und austauschbares Stock-Bildmaterial).
  • Fachjargon, der das Verstehen der Inhalte für Nichtexperten schwierig macht.
  • Kaum vorhandenes Storytelling, stattdessen plumpe Werbung.

3 E ersetzen die klassischen 4 P des Marketings

Wie ist es heutzutage überhaupt noch möglich als Marke im Überangebot der Inhalte „nicht werbend“ aufzufallen? Die 4 P des Marketings – Produkt, Preis, Platzierung und Promotion – als die klassischen Säulen des Marketings stammen immerhin noch aus den 60ern!

  1. Produkt scheitert oft an der Vergleichbarkeit der zunehmenden (Content) Angebote. Zu fast jedem Produkt gibt es heute Alternativen – oder es wird schnell kopiert.
  2. Sich auf einen Preiskampf als „die günstigste Alternative“ einzulassen ist keine nachhaltige Strategie, denn es wird immer einen Mitbewerber geben, der in der Lage ist, ein vergleichbares Produkt günstiger zu produzieren oder auf Kosten der Marge billiger zu verkaufen. Viele Produkte sind oder werden beliebig austauschbar – Service und Experience gewinnen bei Konsument:innen an Wert.
  3. Promotion scheitert oft am Überangebot an Werbung, dem wir in den digitalen Medien ausgesetzt sind – oder spätestens an den steigenden Kosten, die nötig sind, um die Aufmerksamkeit unserer Kund:innen zu gewinnen (kaufen).
  4. Und auch die Platzierung im Sinne des Distributionsweges wird durch die Normalisierung von digitalen Kundenbeziehungen und der Verfügbarkeit von Produkten überall auf der Welt zu einem großen Teil ausgehebelt.

Es erscheint also erstrebenswert, sich mit einer Content-Strategie auf den Nutzwert digitaler Inhalte zu konzentrieren. Hier kommt ein anderes Modell zum Einsatz, die 3 Es:

Die 3 E des Content-Marketings

  1. Education: Nutzer:innen suchen im Social Web oder per Google nach Antworten auf ihre Fragen oder Informationen zu bestimmten Themen. Marken können diese Themen mittels Content besetzen, regelmäßig dazu informieren und Antworten auf die Fragen der Konsument:innen liefern.  Da kommt es sehr gelegen, dass Unternehmen in der Regel auch Expert:innen inhouse haben, die viel Wissen mitbringen: Entwickler oder Ingenieure, die gern bereit sind, ihre Tipps und Anregungen mit Kund:innen zu teilen. Die Content-Abteilung muss es nur noch aufbereiten. Oft sind auch die Mitarbeitenden selbst Anwender und gern bereit, ihr Wissen weiterzugeben. Ein schönes Beispiel ist der Blog des Bike-Herstellers Canyon, wo der Hersteller selbst Tipps zu Rennrädern, Mountainbikes oder der neuartigen Kategorie Gravel Bikes gibt.

    Canyon Gravel Bike Blog
  2. Entertainment: Nutzer:innen jedoch nicht nur nach Nutzwert, es darf auch unterhaltsam und emotionalisieren. Content darf, egal, wie trocken das Thema ist, auch Spaß machen. Unterhaltung lockert auf, wie eine Prise Humor ein Kundengespräch oder Spannung eine gute Geschichte.

  3. Engagement: Content-Marketing ist nicht unilateral, sondern vielmehr ein Dialog. Inhalte sollen also auch darauf abzielen, mit der Zielgruppe zu interagieren. Stelle Fragen, rege zum Kommentieren in Videos und Beiträgen an, lade die Zielgruppe zum Mitmachen ein („Schick uns dein bestes Foto von Produkt X“ oder „Welche Farbe von unserem nächsten Produkt gefällt dir am besten?“).

3 Tipps für einzigartige Inhalte, die sich nicht werblich anfühlen

Folgende Ansätze helfen dabei, nicht ins Werbliche abzudriften und sich auf die 3 E zu fokussieren:

1. Product-led: Produkte als Nebendarsteller

Ist es möglich, über Produkte zu sprechen, ohne über sie zu sprechen? Ja, denn bei sogenanntem Product-led Content (kurz PLC, übersetzbar als „Produkt-gestützte Inhalte“) steht nicht das Produkt („Kauf mich!“) im Mittelpunkt, sondern es wird in das Narrativ integriert – etwa als exemplarische Lösung eines Problems.

PLC richtet sich zudem auch an eine die wichtige Zielgruppe, die gern vergessen wird: Bestandskund:innen. Diese werden beispielsweise mit nützlichen Anleitungen oder Tipps bedient, sodass sie noch mehr aus einem Produkt herausholen können. Dadurch steigt die Kundenbindung.

Immer mehr Software-as-a-Service-Anbieter nutzen diesen Ansatz. Hootsuite stellt beispielsweise einen LinkedIn Guide mit allgemeinen Tipps zur Verfügung, ohne dabei direkt die eigene Softwarelösung zu bewerben. Aber im Umfeld des Blogs stehen natürlich Werbebanner und andere Hinweise auf das eigene Produktversprechen.  

Screenshot: Hootsuite Blog

Ähnlich arbeiten Whitepaper, die fast bis zum Schluss „White“, also allgemein bleiben. Sie verschenken praktisch ihr Know-how. Als Gegenleistung hinterlassen Leser:innen ihre Kontaktdaten und die Einwilligung für eine Demo sich anrufen zu lassen.

2. Community-led: Kund:innen als Hauptdarsteller

Für viele Marken ist die Community von unschätzbarem Wert. Denn über sie kommen permanent Feedback zu Produkten, Anwendungen, Wünsche und Probleme – direkt von den Anwender:innen. Communitys vernetzen die Anwender:innen untereinander und machen sie sichtbar. Die Marke kann nicht nur von User-generated Content profitieren, sie baut auch Vertrauen auf, weil sie sich transparent, kundenfreundlich und kommunikationsfreudig zeigt. Gleichzeitig gibt es Synergieeffekte: Warum eine häufig gestellte Frage im Support mit nur einer Person klären, wenn die Antwort für die andere in der Community ebenfalls interessant sein könnte? Oder warum nicht die Anwender:innen einander Tipps geben lassen? Die Marke lernt dadurch auch die Sprache der Zielgruppe besser kennen und kann Trends erkennen.

Unternehmen können sich als Moderatoren im Hintergrund halten, aber dennoch beeinflussen, wofür die Marke steht. Einzelne User:innen können zu Produkt- und Markenbotschaftern werden.

Beispiele für den enormen Wert von Communitys zeigen wieder Softwarehersteller wie Adobe mit der Experience League oder Salesforce mit der Trailblazer Community. Mitglieder tauschen sich nicht nur zu den Softwareprodukten aus und helfen einander, es herrscht auch eine starke Identifikation mit der Marke als „Experience Maker“ (Adobe) oder „Trailblazer“ (Salesforce).

Screenshot: Adobe Experience League
Adobe Experience League fördert den Austausch in der Community und Hilfestellung unter den Nutzer:innen (Screenshot: experienceleague.adobe.com)

3. Thought Leadership

Quasi in jedem Unternehmen arbeiten Expert:innen, doch oft bleibt ihre Expertise für alle außerhalb des Unternehmens verborgen. Doch genau diese persönliche Kompetenz, Erfahrung und Meinung bietet eine hervorragende Grundlage für guten Content – sei es in Form von Interviews, Podcasts, Kommentaren oder sogar Büchern.

Durch Thought Leadership Content werden Expert:innen als solche nach außen sichtbar und zu einer vertrauenswürdigen Bezugsquelle – für Informationen, Ideen oder den direkten Austausch. In Social Media, im Business-Umfeld zum auf Beispiel LinkedIn, können diese Expert:innen zu „Corporate Influencern“ werden und zusätzliche Reichweite für ihr Unternehmen erzielen – weil Menschen lieber eine Beziehung zu anderen Menschen aufbauen, als zu Marken.

Tipp: keine Angst vor Ghostwriting!

Thought Leadership Content und Corporate Influencer-Content scheitert oft an den verfügbaren Ressourcen. Schließlich sind Expert:innen gefragt und entsprechend beschäftigt, sodass die Zeit zur Content-Produktion fehlt. Hier können externe Ghostwriter unterstützen, die sich zum Beispiel aus kurzen Calls oder stichpunktartigen Mails und Chats genügend Input holen, um daraus Beiträge für LinkedIn, Blog & Co. zu formulieren. Sie sorgen dabei sowohl für eine professionelle Schreibe, als auch für Kontinuität, sodass Thought Leadership nachhaltig aufgebaut wird.

Fazit: Nicht werben ist die beste Werbung

Die Versuchung ins Werbliche abzudriften ist im Content-Marketing omnipräsent. Warum nicht „jetzt kaufen“ und direkt zum Sales Pitch wechseln? Nicht werblicher Content scheint erst aufwendig und anstrengend, bringt aber langfristig eine viel stärkere oder überhaupt erst die gewünschte Wirkung. Es lohnt sich also nicht zu werben, um zu werben.

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Stefan von Gagern
Stefan von Gagern

Stefan von Gagern arbeitet als Freelance Content Strategist und unterstützt B2B/B2C-Kunden wie Adobe, Amazon, Google, Enghouse, Sage, PayPal, konversionsKRAFT und Zavvy mit Content rund um Digitalisierung, Daten und Customer Experience. Komplizierte Themen aus dem Expertenjargon für die Zielgruppe einfach und lebendig zu machen, ist seine Spezialität – dass Content der wichtigste Motor für Kundenfreundlichkeit ist, sein Credo.